Erfahrungen mit mehreren neuen Impfstoffen gegen ‚aktuelle‘ Viruserkrankungen bei Tauben

Schon seit mehreren Jahren sind Kombi-Impfstoffe gegen Viruserkrankungen wie Paramyxo, Herpes und Adeno auf dem Markt. Es werden auch Circovirus-Impfstoffe für Tauben angeboten und auch ein neuer Paratyphus-Impfstoff.

Kombi-Impfstoff RP

Der letzte neue Impfstoff, der aber auch schon wieder ein paar Jahre auf dem Markt ist, ist der Kombi-Impfstoff RP, was für die zwei Viruskrankheiten Rota und Paramyxo steht. Auf Bitten der IVPA, das ist die Internationale Vereinigung von Taubentierärzten, bei der ich auch Mitglied bin, wurden mehrere ausgewählte Taubentierärzte gebeten, über ihre Erfahrungen mit diesen neuen Impfstoffen zu berichten.

Inzwischen haben Sie, liebe Leser, aus den Medien erfahren, wie das Prozedere beim Entwickeln und Testen von neuen Impfstoffen gegen Viren verläuft, in diesem Fall beim Coronavirus COVID-19. Davon wissen wir, dass mehrere potenzielle Impfstoffe in der Testphase sind, der sogenannten Phase-3, bei der zahllose Freiwillige getestet werden. Anfang 2021 werden Impfstoffe gegen COVID-19 zur Verfügung stehen, kann man den Nachrichten entnehmen, wenn man sie aufmerksam verfolgt. Die Kernfrage ist natürlich: Wie wirksam sind diese Impfstoffe, und wie sicher sind sie für den Empfänger?

Für Taubenimpfstoffe gelten natürlich dieselben Fragen, und das ist nun genau das, worüber ich hier schreiben will. Ich werde die verschiedenen Impfstoffe in chronologischer Reihenfolge durchgehen.

Paramyxo-Impfstoffe

Da sind zunächst die Impfstoffe gegen Paramyxo (PPMV-1, was bedeutet Pigeon Paramyxovirus Typ 1). Ab 1982, als ich die Krankheit Paramyxo zum ersten Mal in den Niederlanden sah, mussten wir uns mit dem Geflügelimpfstoff gegen NCD (Newcastle Desease oder Pseudovogelpest, auch ein Paramyxovirus Typ 1) retten. Das waren weiße, einspritzbare Impfstoffe, die aus abgetöteten Viren auf Basis von mineralischen Ölen ‚gemacht‘ wurden, um das Gewebe zu beschädigen, damit der Impfstoff besser anschlagen könnte. Sie mussten unter die Haut (subkutan) gespritzt werden. Mit anderen Worten: Der Impfstoff wird im Nacken unter die Haut injiziert, wobei die Nadel nach hinten gerichtet ist.

La Sota-Impfstoff

Auch gab es einen Impfstoff, der über das Trinkwasser gegeben wurde, der sogenannte La Sota-Impfstoff für Geflügel. Er war leicht zu verabreichen, aber hatte nur eine kurze Wirkung, und die Immunität war niedrig. Dabei wurden im Blut keine sogenannten Antikörper nachgewiesen, mit einem schönen Wort Serokonversion. Vorausgesetzt wird eine lokale Gewebeimmunität. Besser ist es, diesen Impfstoff in Augen und Nase zu träufeln, aber wir empfehlen diese Methode ausschließlich für Notfälle, also bei Krankheitsausbrüchen bei Zuchttauben mit kleinen Jungen, weil die Immunität zu niedrig ist und zu kurze Zeit anhält. Als Tauben-PMV-Impfstoffe gibt es also Impfstoffe mit Öl als Adjuvans und Impfstoffe auf wässriger Basis. Diese wässrigen Impfstoffe verursachen kaum Impfknoten, während die Öl-Adjuvans-Impfstoffe bei einem Teil der geimpften Tauben Impfknoten verursachen, die man nur fühlen kann, wenn man sehr geübt ist. In Bezug auf die Wirkung unterscheiden sie sich kaum.  Bis hier ist das alles eine bekannte Geschichte.

Adeno-Impfstoffe

Dann wurden von Kollegen Adeno-Impfstoffe für Hühner eingesetzt in dem Gedanken und der Hoffnung, dass sie beim ‚Adeno-Coli-Syndrom‘ bei Jungtauben, auch kurz Adeno (B) und Coli (NL) genannt, wirken würden. Dieser Impfstoff für Hühner wird EDS-Vakzin genannt, was so viel bedeutet wie Egg Drop Syndrom oder ‚Weniger Legeleistung-Syndrom‘, verursacht durch ein Adenovirus, aber von einem sehr anderen Typ, warum es bei Tauben überhaupt nicht wirkt.

Circovirus-Impfstoffe

Dann gibt es Kollegen, die für Circovirus-Impfstoffe werben, aber ich bin überzeugt, dass die auch nicht wirken. Es handelt sich hier um einen Impfstoff für Schweine, und bei denen geht es auch wieder um ein völlig anderes Virus als das von Tauben. Übrigens sind viele Jungtauben latent mit Circoviren (Bursa Fabricius) infiziert, ohne dadurch Probleme zu haben, sodass die Entwicklung eines Impfstoffes speziell für Tauben nicht sinnvoll zu sein scheint. Ich vermute, dass die jetzt auf dem Markt zirkulierenden Circovirus-Impfstoffe einfach in Fläschchen abgefüllter Schweineimpfstoff ist.

PHA-Impfstoff

In den letzten Jahren sind auch Kombi-Impfstoffe gegen Paramyxo und Herpes auf den Markt gekommen, und als ob das noch nicht genug wäre, bietet dieselbe Firma (Hersteller) einen 3-fach-Kombi-Impfstoff an, der Paramyxo, Herpes, Adeno oder kurz PHA genannt wird.

Nun habe ich schon jahrelang Impfstoffe auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit getestet, und in Bezug auf Herpes und Adeno war das nicht von Erfolg gekrönt, denn die Wirksamkeit war GLEICH NULL. Aber was ich aktuell im Jahr 2020 mit dem PHA-Impfstoff erlebt habe, ist dramatisch. Ja, gegen P (Paramyxo) hilft er wohl, aber gegen Adeno und Herpes überhaupt nicht, nichts, null, niente. Aber viel schlimmer ist, dass eine Reihe der Tauben gerade nach dieser Impfung tödlich an Herpes erkrankten. Ich wurde damit bei mehreren belgischen Spitzenzüchtern konfrontiert, bei denen Dutzende von Jungtauben ab etwa sechs Wochen starben, nachdem die klassischen Symptome wie gelbe Häutchen im Schnabel und Borken in beiden Augen und Tod innerhalb von fünf Tagen aufgetreten waren. Wir ließen die Diagnose der Sicherheit halber noch mit der PCR-Methode durch ein Spitzenlabor in Belgien bestätigen. Noch nie habe ich so viele Fälle von diesem Herpes gesehen wie in diesem Jahr. Der Einfachheit halber nenne ich dieses Krankheitsbild (ausschließlich bei Jungtauben) Herpes 2.

1. Jungtaube mit klassischen Herpes-Symptomen (Herpes 2)

Ich sprach mit meinem Kollegen Prof. Ab Osterhaus über das Herpes-Virus im Allgemeinen und bei Tauben im Besonderen. Er hielt ebenfalls nichts von einem Impfstoff dagegen, und zwar auch deshalb, weil so viele Tauben latent Träger von diesem Virus sind, ohne dadurch Probleme zu haben.

Salmonellen-Impfstoff

Im Frühjahr wurden wir auch mit den Folgen eines Salmonellen-Impfstoffes auf Öl-Basis (also weiß) aus der Slowakei konfrontiert. Bei diesem Impfstoff fiel auf, dass viele Tauben ab einer Woche nach der Impfung Impfknoten (Granulome) bekamen. Drei Wochen später waren die Knoten zwar etwas kleiner geworden und hatten sich verkapselt, aber waren noch immer deutlich zu fühlen. Manche dieser Granulome wurden vom Körper nach ein paar Montan abgestoßen.
Wir haben diesen Impfstoff auch selbst bei einigen älteren Versuchstauben getestet und fanden dieselben Impfknoten bei einem hohen Prozentsatz der getesteten Tauben (mehr als 50%). Durch Druck dieser Granulome auf vitale Nerven und Blutgefäße im Nacken können Tauben leichter verloren gehen. Je mehr man mit weißen Öl-Adjuvans-Impfstoffen impft, um so größer ist die Gefahr von Impfreaktionen. Manche Tauben scheinen sogar allergisch dagegen zu sein.

2. Oberflächlicher Impfknoten zirka 2 Wochen nach der Impfung

 

3. Oberflächlicher Impfknoten zirka 2 Monate nach der Impfung, der vom Körper abgestoßen wird. Übrigens bleiben die meisten Impfknoten verkapselt tief im Nacken sitzen.

Kombi-Impfstoff RP (Rota/Paramyxo)

Zum Schluss noch einige vorläufige Erfahrungen aus der Praxis mit dem neuesten Kombi-Impfstoff mit Namen RP (Rota/Paramyxo).Nach Meinung deutsche Forscher ist das Rota-Virus die Ursache für die „klassische Jungtaubenkrankheit“, besser bekannt als ‚Adeno-Coli-Syndrom‘ oder international Y.P.D.S. (Young Pigeon Disease Syndrome). Das würde dann auch bedeuten, dass dieses Rota-Virus schon seit mehr als 40 Jahren in unserer Taubenpopulation zirkuliert. Wir haben auch gesehen, wie sich dieses Syndrom im Laufe dieser 40 Jahre veränderte. Darüber hinaus ist es schnell mit den richtigen Antibiotika zu heilen, was in diesem Fall bedeutet, dass der Virusanteil offensichtlich keine große Bedeutung hat.

Ich habe immer den Standpunkt vertreten, dass es sich beim klassischen „Adeno-Coli-Syndrom“ vor allem um ein E.Coli-Problem handelt. Bei der deutschen Verbandsklinik wurde dieses Krankheitsbild anfänglich „Mooskrankheit“ genannt. Später nannten es die Kollegen in Deutschland eine „Faktorenkrankheit“, also ein Zusammentreffen von mehreren unterschiedlichen Faktoren, u.a. Trichomonaden, Hexamiten und Circo-Viren, die zu einem Ausbruch führen sollten.
Wir wissen, dass Stress ein bedeutender Trigger für diese Krankheit ist. Das haben wir in den vergangenen 40 Jahren wohl gelernt.

In den letzten Jahren traten besonders in Deutschland und Belgien ernsthafte ‚Adeno-Coli‘-Fälle mit vermehrt akuten Sterbefällen auf. Mein guter Freund und Kollege Colin Walker hat diese Probleme zum ersten Mal 2016 in der Provinz Victoria in Australien beschrieben. Zuerst trat es vor allem bei alten Tauben auf, später auch bei Jungtauben.
Ich wurde 2017 durch mehrere besorgte Taubenzüchter aus Australien während einer Art weltweiten Livesendung im Radio konsultiert, um ihnen unsere Expertise über diese Problematik zu vermitteln.

Testen RP-Impfung

In diesem Jahr (2020) haben wir mehrere große Tests mit Hunderten von Tauben auf vier großen Schlägen durchgeführt. Alle geraden Ringnummern wurden mit RP-Impfstoff geimpft und alle ungeraden Nummern nur mit einem wässrigen PMV-Impfstoff (also ohne Rota-Komponente).
In einer Reihe von Fällen bekamen die gegen Rota geimpften Tauben doch Y.P.D.S. (Durch das obengenannte Labor in Belgien wurde mit der PCR-Methode doch Rota gefunden), aber im Allgemeinen waren die Symptome milder und die Sterblichkeit geringer. Mehrere Kollegen melden auch, dass sie denselben Eindruck haben, und das gibt Hoffnung. Allerdings bin ich gespannt, ob diese Vermutung auf einer seriösen Untersuchung mit Hunderten von Tauben beruht, wie wir sie gemacht haben und im kommenden Jahr wiederholen werden, oder ob sie nur durch einen Eindruck begründet ist. In einem Jahr werden wir mehr Daten über die Ergebnisse der RP-Impfung haben.

Auf jeden Fall hoffe ich, dass gegen die große Sterblichkeit unter den Ziertauben während der Ausstellungen im Herbst in Deutschland vorgebeugt werden kann, indem diese Tauben ein paar Wochen vor diesen Ausstellungen geimpft werden. Ich werde meine deutschen Kunden auf jeden Fall über diese  Möglichkeit informieren und die Ergebnisse sorgfältig untersuchen.

Zusammenfassend will ich sagen, wie mein eigenes Impfschema aussieht:

  • Jungtauben im Alter von 5 bis 6 Wochen gegen Paramyxo impfen, vorzugsweise mit einem wässrigen Impfstoff, Wiederholung nach ungefähr 6 Wochen mit dem Kombi-Impfstoff RP (Rota/PMV).
  • Eventuell nach zirka 1 Monat wiederholen mit RP (die Rota- ist wichtiger als die PMV-Komponente)
  • Gegen Pocken/Diphtherie ab 10 Wochen impfen.
    Wir werden also nicht gegen Herpes, Circo und Adeno impfen!!
    Ebenso wenig impfen wir gegen Paratyphus. Bei dieser Impfung habe ich noch niemals Wunder gesehen. Stärker noch: Es gibt keine einzige wissenschaftliche Untersuchung, durch die die Wirksamkeit der Paratyphusimpfung nachgewiesen wurde. Unabhängig davon bin ich immer auf der Suche nach guten (sicher und wirksam) Paratyphusimpfstoffen.
  • Alte Tauben: die jährliche Impfung gegen PMV und Pocken/Diphtherie.

Das sollte klar sein: Ich bin nicht gegen das Impfen, ich bin sogar ein großer Befürworter davon, aber die Impfstoffe müssen zumindest ein bisschen wirken und dürfen keine unliebsamen Nervenreaktionen verursachen.

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